: Der Patriarch wankt
Im Zuge der Aufarbeitung des Fußball-Wettskandals wächst der Unmut über die DFB-Doppelspitze und ihren Bestandteil Gerhard Mayer-Vorfelder
VON MATTI LIESKE
Die Meldung passte zur allgemeinen Stimmungslage im deutschen Fußball. In der gestern veröffentlichten Fifa-Weltrangliste ist das Team des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) auf Rang 17 zurückgefallen und liegt nun knapp vor Japan und Uruguay, aber hinter der Türkei, Dänemark, Schweden und Griechenland.
Der sportliche Aspekt ist allerdings derzeit das geringste Problem, mit dem sich die Oberhäupter des hiesigen Kickerwesens herumzuschlagen haben. Am Dienstag entschied der DFB, erstmals ein Fußballspiel als Verbrechensopfer zu betrachten und die Partie LR Ahlen gegen Wacker Burghausen zu wiederholen. Sehr zum Unwillen der Ahlener, die das Match dank eines von Schiedsrichter Robert Hoyzer verhängten Hand-Elfmeters mit 1:0 gewonnen hatten. Hoyzer hat zugegeben, diese Partie für 30.000 Euro manipuliert zu haben, und erklärt, dass er den Strafstoß normal niemals gepfiffen hätte. Sollten die Burghausener die Neuauflage gewinnen, könnten sie plötzlich sogar mit dem Bundesliga-Aufstieg liebäugeln, während sich die Ahlener auf einmal mitten in der Abstiegszone wiederfänden. Darum zweifelten sie das Geständnis Hoyzers, die einzige Grundlage für den Schiedsspruch, auch nach Kräften an. „Wir sagen ganz eindeutig, diese Spielwertung ist korrekt“, kommentierte Ahlens Anwalt Christoph Schickhardt das 1:0. Eine Aussage, die in der Dreistigkeits-Rangliste schnurstracks auf Rang zwei schoss, direkt hinter Hoyzers Behauptung, er sei „eigentlich ein aufrichtiger Mensch“.
Weit mehr Wirbel verursachten allerdings die Äußerungen, die Franz Beckenbauer am gleichen Tag in die Welt schickte. Normalerweise, wenn der Kaiser ins Poltern gerät, ist die Halbwertszeit seiner Worte eher gering. Doch der Franz ist im Moment nicht einfach nur der Franz, sondern Präsident des Organisationskomitees der Fußball-WM 2006, was seinen Verlautbarungen globales Gewicht verleiht. Selbst die New York Times schlagzeilte gestern „Beckenbauer: ‚Skandal schadet Deutschland‘“.
Besondere Brisanz erhalten die Tiraden des obersten Fußballbewahrers der Nation jedoch dadurch, dass er mit seiner Polemik gegen die DFB-Doppelspitze direkt in den Machtkampf eingegriffen hat, der gerade im Verband tobt. Fast alle wollen dort den Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder loswerden oder seine Tätigkeit zumindest auf repräsentative Aufgaben im Rahmen der WM reduzieren. Dass der für diesen Bereich zuständige alte Weggefährte Beckenbauer ihm nun auch noch den Boden unter den Füßen wegzieht, ist bitter für den 71-Jährigen.
Erst am Sonntag hatte Mayer-Vorfelder mit einem Tobsuchtsanfall reagiert, als man ihn im neu installierten DFB-Gremium zur Aufarbeitung des Wettskandals dezidiert nicht haben wollte, was er ganz richtig als Misstrauenserklärung wertete. Die Task Force bilden der geschäftsführende DFB-Präsident Theo Zwanziger, Generalsekretär Horst R. Schmidt, Schatzmeister Heinrich Schmidhuber und der Präsident der Deutschen Fußball-Liga (DFL), Werner Hackmann.
Mayer-Vorfelders am Sonntag im Streit mit Zwanziger artikulierte Position, man müsse ihn schon erschießen, wenn man ihn loswerden wolle, hat jedoch auch Beckenbauer nicht erschüttern können. Der habe zwar die Doppelspitze kritisiert, aber keine Namen genannt, so Mayer-Vorfelder. Dass Beckenbauer, welcher der Doppelspitzenlösung von Anfang an skeptisch gegenüberstand, mit seiner Kritik an deren Nichtfunktionieren jedoch auf Theo Zwanziger gezielt haben könnte, glaubt wohl nicht mal Mayer-Vorfelder selbst. Schließlich hat Zwanziger zumindest seit Aufdeckung des Schiedsrichter-Skandals mit seinem besonnenen und seriösen Auftreten fast durchweg eine gute Figur gemacht und im Wesentlichen die notwendigen Maßnahmen eingeleitet. Die Kritik am Verhalten des DFB bezieht sich hauptsächlich auf die Zeit vor der Inthronisierung Zwanzigers im Oktober, als die Oddset-Warnung anlässlich des Pokalspiels Paderborn – HSV im August weitgehend ignoriert wurde. Ebenso wurde, wie jetzt bekannt wurde, mit einer Aufforderung von Arminia Bielefeld im August verfahren, den jetzt von Hoyzer belasteten Schiedsrichter Dominik Marks nicht mehr einzusetzen. Dieser sei beim Spiel der Regionalligisten von Arminia und Hertha BSC (1:2) durch „unzählige Fehlentscheidungen“ aufgefallen. Laut Hoyzer wurde auch diese Partie im Auftrag der kroatischen Wettbetrüger manipuliert.
Seit Juni müsse man „ein Feuer nach dem anderen löschen“, wetterte Franz Beckenbauer, die Arbeit bleibe liegen. Der Unmut sowohl im WM-Organisationskomitee als auch im DFB richtet sich eindeutig gegen Mayer-Vorfelder, und von der Doppelspitze will außer diesem inzwischen keiner mehr etwas wissen. Sogar Fifa-Chef Sepp Blatter machte sich über die Konstruktion lustig. Das sei, als ob es zwei Bundeskanzler in Deutschland gäbe, „einen von der Regierung und einen von der Opposition“. Wahrscheinlich würde das noch besser klappen.
Theo Zwanziger kündigte nun zwar ein Gespräch mit Mayer-Vorfelder und Beckenbauer an, hatte aber zuletzt die ursprünglich gelobte Solidarität mit seinem Co-Präsidenten komplett aufgekündigt und ihn – für seine Verhältnisse – heftig angegriffen. Zum schäbigen Versuch Mayer-Vorfelders, die Verantwortung für den Skandal auf den Wettanbieter Oddset abzuwälzen, meinte Zwanziger, es habe „einige Missverständnisse in unserer Darstellung“ gegeben. Ein glatter Schlag ins Gesicht des Gerhard Mayer-Vorfelder war Zwanzigers Begründung für die Einrichtung der Task Force: „Die beste Sacharbeit nützt nichts, wenn die interne Kommunikation nicht stimmt. Wir müssen handlungsfähiger werden.“ Einer Art Verabschiedung kam der Satz nahe: „Ohne dass ich ihn entmachten will, MV muss auch mal loslassen können.“ Das klingt kaum nach jenem „Grundvertrauen“, welches Mayer-Vorfelder gestern für sein Verhältnis zu Zwanziger reklamierte.
Gegen das Loslassen sträubt sich der 71-Jährige mit seiner geballten Erfahrung von unzähligen Rücktrittsforderungen, die seine Karriere als CDU-Politiker und Fußballfunktionär pflasterten. Dass er im Oktober überhaupt noch einmal gewählt wurde, hatte er den in der DFL organisierten Vertretern der Profivereine zu verdanken. Vor allem diese sind nun gefordert, dem Beispiel Beckenbauers zu folgen und dem widerspenstigen Fußball-Patriarchen klar zu machen, dass es hohe Zeit ist, die Ära Mayer-Vorfelder im deutschen Fußball endgültig zu beenden.